Hütebub, Jagdgehilfe, Wilderer…
Am 3. September 1736 wurde der Bayerische Hiasl als Matthäus Klostermayr in Kissing (Hausnummer 30, Hausname Brentan) geboren und zehn Tage später in der Pfarrkirche St. Stephan getauft. Er war das älteste von vier Kindern der Eheleute Michael und Elisabeth Klostermayr. Der Vater war Gemeindehirt und Tagelöhner.
Wie bei armen Tagelöhnern in dieser Zeit üblich, musste Hiasl bereits mit elf Jahren (1747) die Schule verlassen und dazuverdienen. Er half seinem Vater beim Viehhüten und verrichtete Hilfsarbeiten auf dem nahe gelegenen Gut Mergenthau des Jesuitenordens. Der Gutsjäger Bernhard Wörsching war ein Bekannter seines Vaters und nahm Hiasl mit auf die Jagd. Man kann davon ausgehen, dass Hiasl für die Jagd sehr geschickt war, denn Anfang August 1753 wurde er offiziell als Jagdgehilfe auf Gut Mergenthau angestellt. Zwischenzeitlich hatte er auch bereits (1751) seinen ersten Hirsch gewildert, seinen Eltern danach aber versprochen, nicht weiter zu wildern.
Wer Knecht ist, bleibt Knecht
Im Februar des Jahres 1756 wurde Matthäus von den Jesuiten entlassen.
Der offizielle Grund war, dass er einen Jesuiten wegen dessen Schießkünsten auf dem Fasching öffentlich lächerlich gemacht hatte. Möglicherweise aber verdächtigte man ihn auch bereits der Wilderei und wollte den Jagdgehilfen deshalb loswerden.
Der Serehansenbauer Joseph Baumiller übernahm Matthäus als Oberknecht. Offenbar konnte er auch hier das Wildern nicht lassen und man versuchte, ihn mit einem für die damalige Zeit probaten Mittel aus dem Verkehr zu ziehen: Am 24. April wurde der Bayerische Hiasl von den Werbern der bayerischen Armee festgesetzt. Aber er konnte ihnen über den Lech ins Schwäbische entkommen.
Im Mai 1756 schloss er sich der Wildererbande des „Krätzenbub“ Xaver Bobinger an, gründete aber nach kurzer Zeit eine eigene Bande. Anfang Mai 1765 wurde Hiasl von einem ehemaligen Bandenmitglied verraten und zu neun Monaten Zuchthaus verurteilt. Wieder in Freiheit, suchte er mit seinen Kumpanen immer häufiger die Konfrontation mit der Staatsmacht, mit Jägern und Soldaten.
Im selben Jahr 1766 nahm er einem Müller den Fanghund ab Tyras, der ihn in Zukunft ständig begleiten sollte. Hunde waren in der damaligen Zeit als "persönliche Leibwächter“ sehr beliebt.
Die verpasste Chance zur Umkehr
Im Jahr 1767 schien sich für den Bayerischen Hiasl noch einmal eine Chance zu öffnen, seinem Leben eine Wendung zu geben.
Auf Wunsch seines Vetters, Dominikus Geyer, eines kurfürstlichen Leibarztes, sollte sich Hiasl, bei Aussicht auf einen Posten als Jäger, dem Kurfürsten unterwerfen. Seine Familie, der Kissinger Pfarrvikar und der Dorfbader redeten auf ihn ein. Als er sich im Sommer von seiner Bande verabschieden wollte, gelang es seinen Kameraden, Hiasl wieder umzustimmen und zum Bleiben zu bewegen. Sie packten ihn bei seiner Ehre und schmeichelten seiner Eitelkeit.
Als bei einem Zusammentreffen mit türkheimischen Jägern sein „Bub“, Andreas Mayr, festgenommen und ins Münchner Zuchthaus gesteckt wurde, begann das „rechtswidrige“ Verhalten des Bayerischen Hiasl und seiner Bande zu eskalieren: Zunehmend suchte Klostermayr jetzt die Auseinandersetzung mit den greifbaren Organen der Staatsmacht den Jägern, Gendarmen und Soldaten.
Verfolgung, Kerker und das Todesurteil
Ende des Jahres 1770 war das Maß voll. Auf einer Sitzung des Schwäbischen Reichskreises, dem alle betroffenen Herrschaften angehörten, wurde beschlossen, dem Bayerischen Hiasl und seiner Bande mit einer gemeinsamen Streife das Handwerk zu legen. Beauftragt mit der Verfolgung wurde Premierleutnant Ferdinand Schedel, dem eine Kompanie Grenadiere und Jäger unterstellt wurden.
Von einer Wirtstochter hatte Schedel erfahren, dass sich Klostermayr im Wirtshaus von Osterzell aufhalte. Am 14. Januar wurde das Wirtshaus eingekesselt. Nach einer vierstündigen Schießerei, bei der fünf Tote darunter zwei Wilderer zu beklagen waren, wurden Hiasl und die gefangenen Bandenmitglieder zunächst nach Buchloe, Ende Januar nach Dillingen an der Donau überführt, wo ihnen der Prozess gemacht wurde.
Im Verlauf des Prozesses, am 15. Juli 1771, gelang vier Wilderern die Flucht, darunter dem Adlatus Andreas Mayr der treue Gehilfe und Gefährte wurde „Bub“ genannt.
Am 3. September 1771 wurde das Todesurteil für Matthäus Klostermayr und seine vier verbliebenen Mitgefangenen verkündet.
Wie der Hiasl zur Legende wurde
Das Volk macht sich seine Helden selbst. Und dabei kommt es nicht so sehr darauf an, was einer an Gutem oder Schlechtem getan hat, sondern ob er in den Augen des Volkes das Zeug zum Helden hatte. Und das hatte der Wilderer und Räuberhauptmann Matthäus Klostermayr, Sohn eines armen Tagelöhners, in hohem Maße. Deshalb wurde er schon zu Lebzeiten zu einer Art Sozialrebellen stilisiert. Aber es gibt kaum Anzeichen dafür, dass er sich selbst jemals so verstanden hat.
Die ersten Gedichte und Volkslieder über ihn hat er vielleicht selbst noch in den Wirtshäusern der Gegend gehört. Aber Allgemeingut ist sein „Heldenleben“ erst nach der Hinrichtung geworden. Die Lieder und Gedichte über sein Leben und seinen „gerechten“ Widerstand gegen die „ungerechte“ Obrigkeit sind kaum zu zählen, Stücke über den Bayerischen Hiasl wurden (und werden) von fahrenden Theatergruppen, von Volkstheatern und Puppenbühnen aufgeführt. Ende der 1970er Jahre produzierte der Bayerische Rundfunk ein Hörspiel über den „Brentan-Hiasl“, für das Fernsehen wurde in den 80er Jahren ein Dokumentarfilm gedreht.
Der Bayerische Hiasl ein Sozialrebell?
Der Tod des Bayerischen Hiasl hatte auf die Bevölkerung keine abschreckende Wirkung im Gegenteil. Die bereits zu seinen Lebzeiten einsetzende Legendenbildung verstärkte sich. In Geschichten und Erzählungen um den Hiasl fokussierte sich die Unzufriedenheit der Menschen mit den Verhältnissen und den ihnen aufgezwungenen Lebensumständen.
Nein der Bayerische Hiasl war kein Sozialrebell. Aber er lebte in einer Zeit, in der man Rebellen brauchte und herbeisehnte: Helden, die sich nichts gefallen ließen, der Ungerechtigkeit der Herrschenden die Zähne zeigten und über ihren Tod hinaus wirkten. Deshalb rief der Volksmund den Wildererkönig und Räuberhauptmann immer wieder zu Hilfe: „Geh Hiasl, steh doch wieder auf!“
Bis etwa 1910 war der Bayerische Hiasl in Bayern in aller Munde. Erst dann wurde er von Mathias Kneißl dem Räuber Kneißl abgelöst, der ihm in Leben und Tod nachgeeifert hatte. Und der schließlich dem Jennerwein Girgl Platz machen musste, der vor allem durch das bekannte Lied vom „Wildschütz Jennerwein“ weitergetragen wurde in der Volksmusik, im Pop und Jazz.
Der edle Räuber in der Literatur
Die Zeit der Aufklärung hat die Figur des „edlen Räubers“ befördert: die des Helden im Kampf gegen die Ungerechtigkeit, die des Kämpfers für die kleinen Leute gegen eine übermächtige Herrschaft. Dies hat unter anderem etwas mit dem im Naturrecht verankerten Recht zum Widerstand gegen ungerechte oder willkürliche Herrschaft zu tun. Einem Recht, um das heute noch erbittert gestritten wird.
Die breite „Räuberliteratur“ des 18. und 19. Jahrhunderts ist auch von großen Schriftstellern aufgenommen und bis in unsere Zeit weitergegeben worden. Räubergeschichten üben offensichtlich eine besondere Anziehungskraft aus: Alexander Puschkin hat dem Kosaken Pugatschov (1834 und 1836) ein literarisches Denkmal gesetzt, und die Figur des Rinaldo Rinaldini im gleichnamigen Roman von Christian Vulpius ist einem bekannten italienischen Räuber nachgezeichnet.
Der wohl berühmteste aller edlen Räuber Robin Hood brauchte offensichtlich nicht einmal ein Vorbild aus Fleisch und Blut, um zu einem Volkshelden zu werden. Und der Bayerische Hiasl diente zusammen mit dem „Sonnenwirtle“ Friedrich Schiller für sein Bühnenstück „Die Räuber“ als Vorbild. Im 20. Jahrhundert hat Carl Zuckmayer den „Schinderhannes“ literarisch verewigt. Auch die immer wieder aufgewärmte und verfilmte Story von Zorro oder von Sandokan zeigt, dass der edle Räuber noch nicht aus den Seelen der Menschen verschwunden ist. Und sogar Kindergeschichten wie der „Räuber Hotzenplotz“ oder „Ronja Räubertochter“ passen in dieses Bild.